1. Wozu die frühe Feindiagnostik / frühe Fehlbildungsdiagnostik?
Die frühe Feindiagnostik (frühe FD) ist eine weiterführende differentialdiagnostische Ultraschalluntersuchung in der Frühschwangerschaft und dient der
frühzeitigen Klärung des Gesundheitszustandes des Fetus (Ungeborenen) (s. Diagnostische Grenzen).
2. Welche Untersuchung umfasst die frühe Feindiagnostik?
Im Ersttrimester sind alle wichtigen fetalen Organe angelegt, aber noch nicht funktionell ausdifferenziert, daher sprechen wir von Organanlagen. Bei der Ultraschalluntersuchung werden diese Organanlagen einschließlich der Ultraschallmarker Nackentransparenz (NT), Nasenbein (NB), Ductus venosus (DV)- und Trikuspidalfluss (TF) beurteilt. Es können nur schwerwiegende Fehlbildungen nachgewiesen bzw. ausgeschlossen werden können (s. Diagnostische Grenzen), denn der Fetus misst zu diesem Zeitpunkt nur circa 50mm 80mm vom Scheitel bis zum Steiß.
Die Nackentransparenz (NT) ist eine flüssigkeitsgefüllte Struktur, welche sich vorübergehend vom Nacken bis zum Rücken bildet und sonografisch darstellen lässt. Ihre Messung kann in der 11+0 SSW bis 13+6 SSW durchgeführt werden. Eine NT bis 2mm gilt als unauffällig. Eine NT von 2,1mm bis 2,5mm ist grenzwertig. Darüberhinaus gilt sie als erhöht bzw. vergrößert. Bei gesunden Feten löst sich die NT mit Abschluss der 16. SSW bis 17. SSW vollständig auf. Es wurde beobachtet, dass Feten mit bestimmten Chromosomenstörungen, z. B. Trisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13, eine erhöhte NT ausbilden. Anhand dieser Beobachtung kann eine statistische Aussage in Form einer Risikoberechnung, basierend auf der Größe der NT, für das Vorliegen der Trisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13 getroffen werden. Durch die Hinzuziehung der Zusatzmarker Nasenbein (NB), Trikuspidalfluss (TF) und Blutfluss im Ductus venosus (DV) wird eine Erhöhung der Detektionsrate für diese Trisomien erreicht.
Eine vergrößerte Nackentransparenz, insbesondere bei Persistenz, kann verschiedenen Erkrankungen zugrunde liegen. Als mögliche Ursachen kann eine Chromosomenanomalie (wie Trisomie 21, Trisomie 13, Trisomie 18 etc.), ein genetisches Syndrom (wie DiGeorge-Syndrom, Noonan-Syndrom etc.), eine Hypoproteinämie, Anämie, Skelettanomalie, Infektion, Lymphabflussstörung, Zwerchfellhernie oder einen Herzfehler etc. herangezogen werden.
Eine mögliche Erklärung der erhöhten Größe der NT z.B. bei Trisomie 21 ist die Überfunktion der Super-Oxid-Dismutase (SOD, analog zum ROS englisch respitory oxidative stress der Planzen). Die SOD liegt auf dem Chromosom 21. Die Überfunktion SOD geht auf die dreifache Genkopiezahl, also einen Gendosiseffekt zurück. Das bedeutet bei der Trisomie 21 wir die SOD in der Zelle weder der genomischen Prägung noch der Inaktivierung durch Acetylierung oder Methylierung gegenreguliert. Die natürliche Funktion der SOD ist das Abfangen von hochreaktiiven, mutagenen Sauerstoff(O)radikalen und Inaktivierung von ihnen zu Wasserstoffperoxid. Letzteres wird in zwei Schritten durch die Enzymen Peroxidasen und Katalasen zur Wasser und Sauerstoff unschädlich gemacht. Bei Der Trisomie 21 entsteht durch die Überfunktion der SOD übermäßig viele O-Radikale. Um sie zu unschädlichen zu machen die Feten die folgenden Prozesse in SOD-Signalweg als Gegengegulation durchführen:
1. Überexpression von Peroxidasen und Katalasen.
2. SOD-Inhibition.
3. Abfangen der Sauerstoffradikalen durch Antioxidantien wie Hyaluronan (Hyaluronsäure). Darauf hin wird die Hyalurosäure übermäßig gebildet durch die Hyaluronsäuresynthetase im Vergleich zu gesunden Feten. Das Hyaluronan ist osmotisch aktiv, das heißt, sie sieht Wasser vermehrt als bei gesunden Feten an. Dadurch entsteht bei Trisomie 21-Feten eine erhöhte Größe der NT als eine vermehrte Ansammlung einer flüssigkeitsgefüllte Nackentransparenz.
Die Beurteilung der Zusatzmarker Nasenbein, Trikuspidalfluss und Ductus venosus beinhaltet die Messung der Nasenbeinlänge und des Blutflusses durch die Trikuspidalherzklappe und im Ductus venosus. Das Fehlen bzw. eine Verkürzung des Nasenbeins (<1,5mm) und/oder ein auffälliger Trikuspidalfluss (Regurgitation) und/oder ein auffälliger Ruckfluss im Ductus venosus (negative a-Welle) erhöhen das Risiko für das Vorliegen der Trisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13. Eine Regurgitation weist zusätzlich auf einen Herzfehler hin. Auch der Rückfluss im Ductus venosus kann auf einen Herzfehler hindeuten.
3. In welcher SSW wird die frühe Feindiagnostik durchgeführt?
Die Frühe Feindiagnostik wird optimal in der 12+0 bis 13+2 SSW durchgeführt. Der Hintergrund hierfür ist die Beurteilung des Nasenbeins, welche erst nach seiner abgeschlossenen Ossifikation (Verknöcherung) möglich wird. Dieses Entwicklungsstadium korreliert mit einer Scheitelsteißlänge (SSL) von 60mm, welche in der 12+0 SSW bis 13+2 SSW erreicht wird. Ein verknöchertes Nasenbein lässt sich dann als solches sonografisch darstellen. Seine Nichtdarstellbarkeit kann daher sicher als fehlend beurteilt werden.
Für die Präzisierung des individuellen Risikowertes muss eine Scheitelsteißlänge (SSL) von 45mm bis 84mm für die statistische Auswertbarkeit vorliegen. Zur Ermittlung der SSL dient die aktuellste Ultraschalluntersuchung als Orientierung!
Der Grund hierfür ist, dass die SSL gegenüber der Angabe der letzten Periode ganauer ist, weil:
1) der Zeitpunkt der Konzeption (Empfängnis) aufgrund der Unstimmigkeit mit der hormonellen Verhütung (z.B. bei Einnahmefehler, also primär ohne Kinderwunsch-Schwangerschaft) nicht übereinstimmt.
2) bei Frauen mit Kinderwunsch (ohne Verhütung) kann die Zykluslänge und damit der
Zeitpunkt der Konzeption variabel sein.
Die frühe Feindiagnostik / frühe Fehlbildungsdiagnostik kann auch zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden, dann jedoch ohne die optionale Risikokalkulation. Sie ersetzt dennoch nicht die große Feindiagnostik, welche in der 20+0 SSW bis 22+6 SSW veranlasst wird (s. Diagnostische Grenzen).
4. Welche Parameter werden zur Risikokalkulation herangezogen?
Die Berechnung des adjustierten Risikos nach Ultraschall ist eine Warscheinlichkeitsberechnung, welche sich auf die sonografischen Marker Nackentransparenz, Nasenbein, Trikuspidalfluss, Herzfrequenz und das Alter der Schwangeren / Eizellspenderin sowie evtl. Chromosomenstörung(en)) vorangegangener Schwangerschaft(en) basiert. Des Weiteren werden weitere Faktoren wie ethnische Herkunft der Schwangeren / Eizellspenderin, Entstehung der Schwangerschaft (spontan oder nach hormoneller Stimulation mit / oder ohne assistierter Reproduktion wie Insemination, IVF, ICSI etc.) mitberücksichtigt. Die Risikokalkulation erfolgt mit dem Programm ViewPoint nach der Fetal Medicine Foundation (FMF) London (UK) Algorithmus 2012 (FMF ID: 49797, Centre ID: 8080). Das Ergebnis ist ein adjustierter Risikowert nach Ultraschall, welcher das Erkrankungsrisiko des Fetus für die Trisomie 21, Trisomie 13 oder Trisomie 18 wiedergibt.
Die Erkennungsrate nach Ultraschall für die Trisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13 beträgt 75% bis 90%. Die falschnegative Rate liegt bei 10 % bis 25%, d.h. in 10 % bis 25% werden die Trisomie 21 nicht erkannt (s. Diagnostische Grenzen). Die falschpositive Rate beträgt ≤ 3%, das heißt, in maximal 3% der Schwangerschaften wird eine Risikoerhöhung ermittelt, obwohl diese nicht vorliegt. Die falschpositive Rate gibt die Anzahl der gesunden Schwangerschaften an, welche der invasiven Pränataldiagnostik zugeführt wird.
Welche Möglichkeiten bestehen zur Erhöhung der Erkennungsrate?
Die Detektionsrate für Trisomie 21, 18 und 13 kann durch die Kombination mit der Blutserumbiochemie der Schwangeren auf 90% bis 95% im Ersttrimester-Screening erhöht werden. Eine höhere Erkennungsrate von mehr als 95% für Trisomie 21, 18 und 13 weist die nicht-invasive Pränataldiagnostik (NIPD) mittels eines nicht-invasiven pränatalen Tests (NIPT) auf, bei welcher die zellfreie plazentare DNA im maternalen Blut analysiert wird.
5. Mögliche Ergebnisse der Risikoberechnung und das weitere Vorgehen
Die Kalkulation liefert adjustierte Risikowerte nach Ultraschall (NT, NB, DV und TF), die sich in eine Gruppe der drei Bereichen, nämlich Niedrig-, Intermediären und Hochrisikogruppe zuordnen lassen. Diese unterscheiden sich in der Häufigkeit der in Erwartung anzutreffenden Trisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13. Daraus resultiert das unterschiedliche Management für die weitere Betreuung der Schwangerschaft. Diese Risikowerte geben statistische Aussagen über das Vorliegen der Trisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13 wieder und stellen daher keine definitive Diagnosen dar, denn das kindliche Erbmaterial wurde nicht analysiert!
a) Das adjustierte Risiko ist niedriger als 1:1000 (z.B. 1:1001, 1:10000). Dieses Ergebnis gilt definitionsgemäß als unauffällig. Daher besteht hier keine Empfehlung zur weiterführenden invasiven Pränataldiagnostik. Dennoch sind in dieser Niedrigrisikogruppe immer noch 1% der Trisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13 zu finden (s. falschnegative Rate). Die Feindiagnostik zum Fehlbildungsdiagnostik und Ausschluss von Trisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13 ist daher in der 20+1 SSW bis 22+6 SSW angeraten.
b) Die Kalkulation liefert ein mittleres adjustiertes Risiko, das von 1:51 bis 1:1000 beträgt. Für diese Intermediären Risikogruppe ist die Durchführung
einer zusätzlichen detaillierten Ultraschalluntersuchung bis zur 17. SSW bis 18. SSW angeraten. Bei sonographischer Auffälligkeit mit einem Verdacht auf eine Chromosomenstörung wird die
Amniocentese (Fruchtwasserpunktion) empfohlen. Eine Feindiagnostik ist zusätzlich in der 20+1 SSW bis 22+6 SSW angeraten, denn in
dieser Risikogruppe sind immer noch 14 % Trisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13 zu finden.
Zur Vorklärung des Verdachts bietet sich der nicht-invasiver pränataler Test (NIPT) an.
c) Das adjustierte Risiko beträgt von 1:2 bis 1:50. Dieser Risikowert gilt als erhöht und ist somit definitionsgemäß auffällig. Dieser
Hochrisikogruppe wird die invasive pränatale Diagnostik (in Form der Mutterkuchenbiopsie (Chorionzottenbiopsie) in der 12. SSW bis 14.
SSW oder Amniocentese ab der 16. SSW) zur Abklärung einer chromosomalen Störung angeboten, denn es sind in
dieser Risikogruppe 85 % derTrisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13 zu
finden. Eine Feindiagnostik ist zusätzlich unbedingt in der 20+1 SSW bis 22+6 SSW und regelmäßige Farbdopplersonographie
angeraten, wenn sich die Schwangere für das Fortsetzen der Schwangerschaft entscheidet.
6. Hinweis zur Grenze der Risikokalkulation
Mit dieser Risikopräzisierung erfolgt kein Ausschluss der Chromosomenaberration (Trisomie 21, Trisomie 18 oder Trisomie 13), denn der Risikowert liefert eine statische Aussage für das Vorliegen dieser Chromosomenstörungen. Auf der anderen Seite bedeutet ein unauffälliges Ergebnis aber auch keine Garantie für die Geburt eines gesunden Kindes ohne Chromosomenabweichung (s. falschnegative Rate).
Der Ausschluss/die Diagnose bestimmter Erkrankungen ist nur durch eine direkte genetische oder biochemische Analyse der DNA/Chromosomen oder Zellen des Kindes und Mutterkuchens möglich! Dafür ist grundsätzlich eine invasive Pränataldiagnostik notwendig.
7. Das Präeklampsie-Screening
Im Rahmen der frühen Feindiagnostik wird zusätzlich nach den Schwangeren mit einem erhöhten Präeklampsierisiko gescreent, um den Betroffenen frühzeitig die Prophylaxe mit 150mg Asperin (ASS) zukommen zu lassen. Dadurch kann die Präeklampsie zu 62% vor der 34. SSW und zu 82% vor dem 37. SSW verhindert werden.
Die frühe Feindiagnostik erfolgt auf Überweisung des betreuenden Frauenarztes beim Vorliegen medizinischer Indikation (wie z. B. Altersrisiko (Alter > 34 Jahre), vorangegangene Schwangerschaft mit Chromosomenanomalie, mehrfache Fehlgeburten/habitueller Abort, familiäre Belastung auf genetische Erkrankung etc.) und ist damit eine Kassenleistung für gesetzlich Versicherten.
Auch ohne Überweisung können gesetzlich-versicherte Schwangeren die frühe Feindiagnostik als eine Selbstzahlerleistung wahrnehmen.
Die Kosten für die Ultraschalluntersuchung (Messung der NT) werden von einigen Krankenkassen erstattet, da diese um Umfang ihrer Leistungen enthalten sind. Fragen Sie Ihre Krankenkasse danach.
Hier können Sie die Aufklärung zu einer Frühen Feindiagnostik runterladen. Bringen Sie diese ausgefüllt und unterschrieben zu der Untersuchung mit.
Wir freuen uns über Ihre Mitteilung über den Schwangerschaftsausgang, um uns stetig für Sie zu verbessern! Bitte senden Sie uns auch das entsprechende Geburtsprotokoll und die Epikrise zu.